Jonathan Franzen verhandelte in seinen Romanen immer aktuelle Gesellschaftsprobleme. In den hymnisch gefeierten Korrekturen (2001), dem Familienroman, der ihn international bekannt machte, hatten das Investmentbanking und die Biotechnologie der Neunzigerjahre Eingang gefunden, in Freiheit (2010) der Naturschutz und Bushs Irakkrieg, im Thesenroman Unschuld (2015) schließlich die Welt der hippen Internetgurus, die Franzen, eher wenig überzeugend, mit der sozialistischen Freiheitsberaubung der DDR verschaltete. Fast immer entfaltet er weiträumig ein Familiengeflecht, in dem sich der Zeitgeist spiegelt. Zumeist sind es rund 800 Seiten, in denen man sich erstaunlich anstrengungslos verliert. Franzen experimentiert nicht, das Avantgardistische ist ihm, von seinen Frühwerken abgesehen, herzlich fremd. Bei ihm lebt der realistische Roman des 19. Jahrhunderts mit einer Selbstverständlichkeit fort, als sei mit ihm die einzig wahre Gattung ein für alle Mal erschaffen worden. Seine unterhaltsamen Weltbestseller wurden manchmal mit Dickens, Tolstoi oder den Buddenbrooks von Thomas Mann verglichen, und das einigermaßen zu Recht: Mit der manischen Detailverliebtheit an Alltagsbeschreibungen, der mikroskopisch genauen Entfaltung des Innenlebens seiner Figuren und ihrer Konflikte mit sozialen Normen wird die bürgerliche Familie als Verfallsgeschichte präsentiert (so wie sie eigentlich immer, auch im 19. Jahrhundert, nur im Niedergang zu bestaunen war). Dass die Aktualität von Franzens Stoffen seine formale Konventionalität verdeckt, spricht nicht gegen seine Erzählkunst. Im Gegenteil: Sie zeigt die enorme Leistungsfähigkeit einer allzu oft für tot erklärten Gattung, die noch das Ganze einer sich zersplitternden Gesellschaft einzufangen versucht. Die Zeitdiagnose, die Franzen jedem dieser Romane unterpflügt, macht diese bei Erscheinen zuverlässig zu einem debattentauglichen Ereignis.