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War es das Licht? Das Gleißen der Sonne auf Wasser, der Geruch der Hitze am Mittag, das Eintauchen ins Meer? Das Grillengeschrill, das Froschkonzert bei Sonnenuntergang, waren es die Gespräche auf der Terrasse, des Nachts? Was war denn das Schöne, das Gefährliche an jenem Sommer? »Es war wie Liebe«, sagt Flavia. BILD

Eine Frau von 50. Zurückblickend auf Flavia, die Siebzehnjährige, beide auf ihre Weise ein Alter Ego der Autorin, die ihrerseits die 50 hinter sich gelassen hatte, als sie 1968 den Roman Ein trügerischer Sommer schrieb, der nun, endlich, auf Deutsch erschienen ist. Schilderungen einer Hand voll Tage an der Côte d’Azur, Tage, die ein ganzes Leben färben. Ein Mädchen ist allein im Hause der Mutter. Am Anfang ist da ein Gefühl, nun könne alles beginnen und alles Schöne, so wie Gnade, ewig währen. Am Ende des Romans ist etwas verloren. Man kann dieses Gefühl Enttäuschung nennen. Wenn es nicht die Bedford mit ihrem eleganten, immer auch ironisch gebrochenen Stil vermeiden würde, ein so scharf konturiertes Gefühl aufkommen zu lassen. Aber da ist eine dunkle Unterströmung, immer und unausweichlich.

Die Baronesse war ein bisschen jüdisch und vollkommen exzentrisch

Sybille Bedford, die zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts geboren wurde und zu Beginn des neuen Jahrhunderts, vor wenigen Monaten, gestorben ist, hat sich eine »Davongekommene« genannt. Sie, die wir für ihre Weltläufigkeit bewundern, die in Deutschland geboren ist und in England, Frankreich, Italien gelebt hat, die eine in zwei Jahrhunderten weit Herumgekommene ist, sie hat vielleicht am intensivsten in jenen Jahren gelebt, die sie »Entre-Les-Guerres« nennt. Eine Sollbruchstelle zwischen zwei Welten, in denen das Leben nicht weniger Menschen in mehr als zwei Teile zerbrach. Etwa 1930. Im Süden Frankreichs. Da hatten sich solche versammelt, die sich nach der Auflösung der bürgerlichen Welten befreit fühlten, von Familie, Gesellschaft, sexuellen Fesseln, die experimentierten mit neuen Lebensstilen. Bloomsbury an der Côte, gestrandet. Einige suchten nur Ruhe und Sonne, wie die Aldous Huxleys. Andere trafen ein, die sich vor dem Faschismus retten wollten, wie die Thomas Manns oder Feuchtwangers. Geflohen bis dorthin, wo Europa am Ende war. Vor sich nur Meer. Sommergäste ohne Abreisetag. Sie führten improvisierte Leben, in improvisierten Unterkünften, unter zeitweiligen Freunden. Im Rücken und vor sich womöglich viel Dunkles, aber hier doch vor allem glitzerndes Wasser- und Wortgeflimmer, es konnte vielleicht nur an dieser sonnendurchglühten Côte passieren, dass sich kurzzeitig ein warmes Gefühl von Sicherheit ergab, eine Verführung zu ultimativer Intensität, Absturz inkl. Dies der gefühlte Hintergrund dieses Romans.

Der Plot atmet den Geist eines Thrillers, kombiniert mit Elementen des Gesellschaftsromans. Flavias Mutter und ihr Geliebter sind abgetaucht, auf der Flucht vor seiner Gattin, die eine Scheidung vereiteln möchte. Die alten Konventionen sitzen ihnen im Nacken. Flavia, die Tochter, ist derweil auf sich gestellt, kämpft sich durch harte Lektüre, in der Sehnsucht, dass sich ihr so die Türen von Oxford öffnen mögen, schon sieht sie für sich eine Zukunft, in der Frauen befreit sind von Rollenklischees. Flavia lässt sich in neue Freundschaften treiben, segelt in kleine Abenteuer.

Das Buch ist Folgeband eines ersten Buches, Liebling der Götter, mit dem Bedford bereits in die Familiengeschichte der Mutter eingetaucht war, hinter beiden zeigen sich, wie ein Palimpsest, Konturen von Bedfords Autobiografie Quicksands, die im September nun auch auf Deutsch erscheint: Treibsand. In dieser wiederum sind wie Spuren im Sand die Züge jenes ersten Romans der Bedford wiederzufinden, der, 1959 geschrieben unter dem Titel Das Vermächtnis, vor drei Jahren sein Comeback in Deutschland hatte, ein zu Recht gerühmtes Werk. Hoch amüsant! Auch hier finden sich schon viele Details der unglaublichen Familiensaga.

Geborene Baronesse. Ein bisschen jüdisch, vollkommen exzentrisch die Sippe, inkl. Liebesmord, Verrat und Haltung. Übrigens mehr Haltung als Geld. Zu Bedfords frühsten Erinnerungen zählt eben, wie sie als Kind in den Keller wandert, mit Kerze – weil Strom unbezahlbar war –, um ausgewählte Vintage-Flaschen hochzuholen – als Ersatz für Bier, zu dessen Kauf das Geld fehlte. Stilbildend, in vielerlei Hinsicht.

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Es geht in Bedfords Erzählungen immer um Fragmente des Autobiografischen, die in der Autobiografie noch am rohesten daherkommen, vielleicht sogar am eindrucksvollsten. Dort lässt sie alle Wunden offen, kittet keine Brüche, stellt unverdrossen alle Fragen, auch solche, die am Ende des Lebens noch quälend unbeantwortet sind. Wie die, welche Verantwortung man hat für Entscheidungen, zum Beispiel jene der Liebe. Ob eine politische Haltung akzeptabel ist, die sie nie in Handlung verwandelt, sondern höchstens in geistreiches Geplauder, ob als Entschuldigung gilt, dass man eben am falschen Ort war, zum Beispiel am Strand in Frankreich, als Deutschland oder Italien Opfer der Faschisten wurden.

Was andere Snobismus nannten, kaschierte nur ein Gefühl von Verlust

Die Bedford, die Ein trügerischer Sommer schrieb, weiß viel von dem, was passierte. Für Esquire und Life hat sie über die Auschwitz-Prozesse berichtet. Bedford war nie in Oxford, es gab keine formale Ausbildung, aber sie war doch geistig durch viel Lektüre gewandert. Ihre Biografie über Aldous Huxley ist eine profunde Auseinandersetzung mit Philosophie und Werk dieses Autors. Von dieser Tiefe ist in den letzten Romanen wenig zu spüren. Da ist viel Oberfläche, und keineswegs nur brillante. Die Handlung schlitterte darauf gelegentlich mit gequälter Verrenkung. Sehr viel Leinenhose am Strand und Bubiköpfe in eleganten Karosserien. Ihre jungen Menschen, wurde bemerkt, stehen alle im Verdacht, schöne Professoren zu werden, wahlweise Schuldirektorinnen. Die Frauen sind übrigens durchweg interessanter als die Männer. Spezialität – Salonlöwin. Man hat Bedford des Snobismus verdächtigt, das hat sie nicht zuletzt mit Oscar Wilde gemein, auch so ein bewunderter Außenseiter. Aber das trifft es nicht. Wie Wilde versucht vielleicht auch Bedford, mit leichter Geste Verluste zu überspielen.

Sie habe »den Übergang von dem gewaltigen Elend zu den Feinheiten, Leidenschaften, Wonnen und kleinen Bosheiten im Leben von Menschen, die noch einmal davongekommen waren, nicht leicht oder rasch bewältigen« können, schreibt Bedford im Nachwort dieses Buches, es klingt ein wenig entschuldigend. Davongekommen zu sein: ja, ein Privileg. Es hat etwas Unwirkliches, so wie die Sommer an der Küste vielleicht etwas zu hübsch geraten sind. Kein Anlass jedenfalls, Bedford gleich einen Ehrenplatz neben Virginia Woolf oder Thomas Mann einzuräumen, wie es Fans eilfertig tun. Ach, sowieso ist alles verschwunden, was damals Saint-Jean ausmachte, den kleinen Ort an der Côte, der in Wahrheit übrigens Sanary-sur-Mer hieß. »Damals war der oft gemalte Hafen von Saint-Jean noch kein Parkplatz«, bemerkt Flavia in einem Anflug von seltenem bitterem Realismus. Vielleicht transportieren Bedfords späte Romane noch am stärksten jenes Empfinden, das sie in ihrer Autobiografie so beschrieben hat: »das hochfliegende Gefühl der Erleichterung, das Aufheben jenes in jeder Stunde gegenwärtigen und im Ausmaße monströsen Bewußtseins von Schmerz und Tod«.

Die freundlichste Wertschätzung ihres Werkes wäre jene, die alle Werke, Autobiografie, Romane, Reisebeschreibungen, Journalismus, zusammen mit der Autorin als Gesamtkunstwerk betrachtet, bis hin zu den letzten Bildern, die Bedford in ihrem Bücherverhau in Chelsea zeigen. Zwischen den Buchseiten klebt womöglich noch das ein oder andere Sandkorn, in den Regalen stehen Vintage-Editionen, zweifellos mit Genuss geleert.