Küstenwache unter Gegenbeobachtung: Malta auf der Anklagebank

Seenotretter und Flüchtlinge sind im Mittelmeer Angriffen ausgesetzt. Nun wehren sich NGOs juristisch und setzen auch auf die deutsche Justiz.

Migranten auf Malta protestieren.

Birzebbuga, Malta: Inhaftierte Geflüchtete protestieren lautstark Foto: imago

BERLIN taz | 419 Seiten brauchte der Ermittlungsrichter Joseph Mifsud, um seinen Befund zu erläutern: dass Maltas Premierminister Robert Abela und Angehörige der Küstenwache nichts falsch gemacht haben, als über Ostern Hunderte Menschen tagelang in Seenot auf dem Mittelmeer trieben, mindestens fünf starben und Dutzende zurück nach Libyen gebracht wurden. Bereits kurz vor Pfingsten hatte der Richter Mifsud seinen Bericht, der der taz vorliegt, fertig – und das Verfahren gegen den sozialdemokratischen Regierungschef und die Küstenwächter damit wohl beendet.

Während der Ostertage waren Schiffbrüchige in der maltesischen Rettungszone teils erst nach 40 Stunden nach Absetzen des Notrufs gerettet worden. Insassen eines Flüchtlingsboots hatten gegenüber der NGO Alarm Phone berichtet, Angehörige von Maltas Küstenwache hätten ihr Motorkabel durchtrennt. Später waren sie von der Küstenwache allerdings gerettet worden – nach Ansicht des Alarm Phone geschah dies nur auf internationalen Druck.

An jenem Tag waren im gleichen Seegebiet fünf Leichen gefunden worden. Sie sollen von einem anderen Flüchtlingsboot stammen, das nach sechs Tagen auf dem Meer ebenfalls vor Malta in Seenot geraten war. Sieben Insassen dieses Bootes gelten bis heute als vermisst. Die Regierung hatte später eingeräumt, einen Fischkutter angewiesen zu haben, die 51 Überlebenden des Bootes nach Libyen zurückzubringen. Malta hatte während der Coronakrise erklärt, keine Schiffbrüchigen aufnehmen zu können. Rückschiebungen nach Libyen sind nicht zulässig.

Die NGO Republikka hatte wegen der beiden Fälle Anzeige erstattet. Republikka nannte es „überraschend“, dass die Justiz schon nach rund sechs Wochen zu einer Bewertung gelangte. „Dies ist kein normaler Zeitrahmen für eine Untersuchung in einer so ernsten Angelegenheit wie dem Tod von 12 Menschen.“

Vorwürfe gegen den Inselstaat

Ein dritter Seenotfall, auch während der Ostertage, macht Malta weiterhin Schwierigkeiten. Das Außenministerium in Italien hat bei einer Parlamentsanhörung in Rom Vorwürfe gegen den Inselstaat erhoben. Demnach hat die Küstenwache von Malta ein Boot mit 101 Menschen zwar mit Rettungswesten und Benzin versorgt – dann aber offenbar mit vorgehaltener Waffe dazu gedrängt, weiter nach Sizilien zu fahren. Dort waren die Menschen am 12. April angekommen. Die Entfernung von Libyen nach Sizilien ist für kleine Gummiboote normalerweise nicht zu schaffen. Laut dem Guar­dian erwägt die Staatsanwaltschaft in Sizilien, nun wegen der Sache ein Verfahren gegen Malta zu eröffnen.

Wegen der Corona­restriktionen ist seit Wochen kein einziges privates Rettungsschiff im Einsatz

Unterdessen ist in Italien eine für Juli geplante Anhörung des früheren italienischen Innenministers Matteo Salvini auf Oktober verschoben worden. Grund ist die Coronapandemie. In dem Verfahren gegen den Lega-Chef in Catania auf Sizilien geht es um ein Schiff der Küstenwache, das Migranten aus Seenot gerettet hatte. Salvini verbot der „Gregoretti“ im Sommer 2019 tagelang die Einfahrt in einen Hafen.

In diesem Jahr sind bislang 269 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Vor allem wegen der Coronarestriktionen ist seit Wochen kein einziges privates Rettungsschiff im zentralen Mittelmeer im Einsatz. Allein zwischen dem 23. und dem 29. Mai haben sich neun Boote in dem Gebiet an die NGO Alarm Phone gewandt. Drei der Boote schafften es bis nach Italien, zwei wurden von Malta gerettet, die Insassen auf einer Fähre interniert. Die Menschen von vier weiteren Booten wurden nach Libyen zurückgebracht. „Von den 660 Personen in den Booten, die uns anriefen, erreichten 315 Europa, 345 wurden in ein Kriegsgebiet zurückgeschickt“, so das Alarm Phone.

Angriff der libyschen Seepolizei

Auch den libyschen Sicherheitskräften, die viele MigrantInnen auf dem Meer aufgreifen und zurückholen, könnte juristischer Ärger drohen. Darauf hofft zumindest die NGO Sea Eye. Am 6. April war deren Schiff „Alan Kurdi“ in internationalen Gewässern beschossen worden. Es war der zweite Zwischenfall dieser Art mit der „Alan Kurdi“ seit Oktober 2019. Recherchen des WDR-Magazins „Monitor“ legen nahe, dass der erste Angriff von einem Schiff der libyschen Seepolizei ausging. Sea Eye hat wegen des Vorfalls am 6. April Anzeige gegen Unbekannt bei der Bundespolizei See in Hamburg erstattet. Die ist für Straftaten gegen deutsche Schiffe zuständig. Sea-Eye-Sprecher Julian Pahlke geht davon aus, dass auch der Angriff im April von einem Schiff der Seepolizei ausging.

„Höchstwahrscheinlich sind das genau die Kräfte, die von Frontex und Bundespolizei ausgebildet werden.“ Laut Antwort des Auswärtigen Amts auf eine Anfrage des Linken-Abgeordneten Andrej Hunko hat die deutsche Botschaft in Tripolis die libyschen Behörden um Aufklärung gebeten – erfolglos: Die Küstenwache und das libysche Innenministerium äußerten sich nicht. „Dass die Bundesregierung die Aufklärung des Angriffs mit einer simplen Nachfrage beim Innenministerium bewenden lässt, grenzt an Strafvereitelung“, sagt Hunko dazu.

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