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FOCUS-Online-Kolumne von Alexander Kekulé: Warum Impfen zum Ziel führt - aber eine Pflicht jetzt das falsche Mittel ist
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Teenager girl being vaccinated - wearing face mask
Getty Images/iStockphoto/FG Trade Eine allgemeine Impfpflicht wird das aktuelle Corona-Problem nicht lösen, ist sich VIrologe Alexander Kekulé sicher.
  • FOCUS-online-Kolumnist

Der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz berät heute mit den Ministerpräsidenten über eine allgemeine Impfpflicht. Die Vorstellung, diese werde alles richten, ist verlockend. Doch die Impfpflicht ist nicht die Lösung – aus drei Gründen.

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In Momenten größter Ratlosigkeit ist der Mensch besonders anfällig für falsche Heilsversprechen. Das gilt für todgeweihte Kranke genauso wie für Politiker, die vieles falsch gemacht haben und nun zusehen müssen, wie eine nicht mehr aufzuhaltende Infektionswelle die Intensivstationen überrollt.

Und es gilt auch für eine Bevölkerung, die im zweiten Jahr der Pandemie vom Virus verängstigt, durch die Gegenmaßnahmen erschöpft und an den Ungeimpften verzweifelt ist.

Über den Experten

Alexander S. Kekulé (64) ist Virologe, Epidemiologe und ehemaliger Berater der Bundesregierung. Zu aktuellen Fragen der Wissenschaft schreibt der studierte Mediziner regelmäßig an dieser Stelle und auf Twitter unter @AlexanderKekule.

Nun soll es, wenn es nach dem designierten Bundeskanzler Olaf Scholz – und wohl auch den Mehrheiten in Bundestag und Bevölkerung – geht, eine allgemeine Impfpflicht richten. Die Vorstellung, durch eine drastische aber wirkungsvolle Therapie das Corona-Problem ein für alle Mal zu heilen, ist zweifellos verlockend. Die allgemeine Impfpflicht ist jedoch das falsche Mittel zum falschen Zeitpunkt, und zwar aus drei Gründen.

Für die Impfpflicht sind es nicht die richtigen Impfstoffe

Erstens haben wir nicht die richtigen Impfstoffe, mit denen sich eine allgemeine Impfpflicht rechtfertigen ließe. Nachdem Deutschland die einst gepriesenen Vektorimpfstoffe von Astrazeneca und Johnson&Johnson de facto ausgemustert hat, stehen uns von Biontech und Moderna sichere mRNA-Vakzinen zur Verfügung. Sie wurden jedoch gegen den ursprünglichen Wuhan-Typ des neuen Coronavirus Sars-CoV-2 entwickelt. Die Hersteller haben sie, entgegen anfänglicher Versprechungen, bislang nicht an die Delta-Variante angepasst.

Bei Delta ist die Schutzwirkung vor schwerer Erkrankung vermindert, weswegen in der besonders gefährdeten Altersgruppe ab 60 Jahren derzeit etwa die Hälfte der Intensivpatienten vollständig geimpft ist. Dieser Anteil steigt sogar schneller als die Impfquote, was darauf hindeutet, dass sich Geimpfte in falscher Sicherheit wiegen und auf 2G-Veranstaltungen ohne Schutzmaßnahmen einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt sind.

Der mangelhafte Schutz gegen Delta soll nun durch weitere Dosen derselben Impfstoffe kompensiert werden. Ob dadurch die Ansteckungsfähigkeit so stark vermindert werden kann, dass es zu einer deutlichen Reduktion der Neuinfektionen kommt, ist jedoch unklar. Unbeantwortet ist auch die Frage, nach welchem Zeitraum der Impfschutz soweit nachgelassen hat, dass eine Auffrischungsimpfung verpflichtend werden müsste. Während über 70-Jährige wahrscheinlich bereits wenige Wochen nach der zweiten Impfung von der Boosterung profitieren, könnten Menschen unter 40 auch zwei Jahre oder länger vor schweren Verläufen geschützt sein.

Auch neue Varianten sprechen gegen die Impfpflicht

Bis die Impfpflicht greift, hätten wir es zudem wahrscheinlich mit neuen Varianten zu tun (Omikron ist nur ein möglicher Kandidat hierfür), die sich von den derzeitigen Impfstoffen noch weniger beeindrucken lassen. Ob dann angepasste Vakzinen verfügbar sind, wie gut sie vor der Weitergabe des Erregers schützen und ob ihre Wirkung eine Impfpflicht rechtfertigt, lässt sich heute noch nicht absehen.

Das mit der Impfpflicht verfolgte Ziel, die Krankenhäuser in künftigen Infektionswellen vor Überlastung zu schützen, ist mit den aktuellen Vakzinen wahrscheinlich nicht erreichbar.

Viele Ungeimpfte haben irrationale Ängste

Die mRNA-Vakzinen sind für eine allgemeine Impfpflicht auch deshalb ungeeignet, weil sie bei einem erheblichen Teil der bislang Ungeimpften irrationale Ängste hervorrufen. Dies betrifft keineswegs nur "Aluhüte", die sich vor Genmanipulation und implantierten Mikrochips fürchten. Natürlich hat man die neuen Wirkstoffe mittlerweile milliardenfach verimpft, ohne dass bedenkliche Nebenwirkungen registriert wurden.

Die sehr seltenen Herzmuskelentzündungen heilen meist folgenlos aus und stünden jedenfalls einer Impfpflicht für Erwachsene nicht entgegen. Allerdings kann kein seriöser Wissenschaftler ausschließen, dass in Zukunft Nebeneffekte entdeckt werden, die mit den heutigen Kenntnissen über das Immunsystem und seine Entwicklung in der Kindheit nicht vorhersehbar waren.

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Zwar wird es wohl kaum einen Virologen geben, der sich aufgrund solcher Spekulationen von der Impfung abhalten lässt. Aber nicht jeder denkt wie ein Virologe und wenn es um die Gesundheit geht, sind viele Entscheidungen irrational. Wer aufgrund solcher unknown unknowns Angst vor der Impfung mit mRNA-Wirkstoffen hat, darf nicht dazu verpflichtet werden. Dies gilt umso mehr, zumal in Kürze auch konventionelle Vakzinen (Ganzvirus- beziehungsweise Proteinimpfstoffe) verfügbar sein werden.

Medizinische Begründung fehlt

Zweitens gibt es für eine allgemeine Impfpflicht weder eine medizinische noch eine epidemiologische Begründung. Eine gesetzliche Verpflichtung, sich selbst vor Erkrankung zu schützen, würde einen ethischen Paradigmenwechsel und bislang beispiellosen Eingriff in die Grundrechte bedeuten. Weder Raucher noch Übergewichtige oder Risikosportler müssen vergleichbare Gebote hinnehmen, ihre Behandlungskosten trägt trotzdem die Allgemeinheit.

Die in diesem Zusammenhang öfter angeführte Gurtpflicht beim Autofahren hat das Bundesverfassungsgericht seinerzeit nicht wegen einer Verpflichtung zum Selbstschutz, sondern im Hinblick auf die ohne Gurt höhere Verletzungsgefahr und dadurch eingeschränkte Hilfsmöglichkeit für Andere am Unfallort für rechtens erklärt. Um das Recht auf Schädigung der eigenen Gesundheit einzuschränken, bedürfte es einer außerordentlich dringenden und allgemein zutreffenden medizinischen Begründung.

Diese gibt es jedoch bereits deshalb nicht, weil das Risiko schwerer Covid-Erkrankungen sehr unterschiedlich verteilt ist. Während bei Alten, Übergewichtigen und Menschen mit besonderen Grunderkrankungen vielleicht noch die außergewöhnliche Dringlichkeit der Impfung begründbar wäre, unterscheidet sich die Gefahr für junge und gesunde Menschen sowie für bereits von Covid Genesene nicht grundsätzlich von anderen Gesundheitsrisiken.

Mehr von Alexander Kekulé

Weitere Texte des bekannten Virologen und ehemaligen Beraters der Bundesregierung lesen Sie hier.

Impfpflicht ist nur für bestimmte berufliche Tätigkeiten sinnvoll

Auch das häufig geäußerte epidemiologische Argument, mit der Impfung würden andere vor Ansteckung geschützt, rechtfertigt den Eingriff in die Grundrechte nicht. Geimpfte haben ein um etwa 90 Prozent reduziertes Risiko, andere mit der Delta-Variante anzustecken. Die tatsächlich erzielte Schutzwirkung ist etwas geringer, weil Geimpfte nichtpharmakologische Schutzmaßnahmen (etwa Abstand, Maske, Vermeidung von Veranstaltungen in Innenräumen) weniger konsequent anwenden. Im Freizeitbereich kann eine vergleichbare Schutzwirkung auch durch regelmäßige Schnelltests, Begrenzung der Teilnehmerzahlen und Abstandsregeln erreicht werden. Mit der gerade eingeführten 3G-Regel in öffentlichen Verkehrsmitteln und am Arbeitsplatz wird dies bereits umgesetzt.

Um vulnerable Gruppen vor schweren Erkrankungen zu schützen, wäre zwar eine Impfpflicht für bestimmte berufliche Tätigkeiten sinnvoll und ethisch vertretbar. Zur Begründung einer allgemeinen Impfpflicht taugt dieses Argument jedoch nicht.

Pandemie lässt sich nicht "wegimpfen"

Auch das Ziel der lokalen Eliminierung beziehungsweise globalen Eradikation der Krankheit, wie es mit Impfkampagnen gegen Masern oder Pocken verfolgt wurde, kann bei Covid nicht als Begründung für eine Impfpflicht dienen. Mittlerweile ist anerkannt, dass es in absehbarer Zeit keine Herdenimmunität gegen Sars-CoV-2 und seine immer neuen Varianten geben wird und wir die Pandemie nicht "wegimpfen" können, wie dies von manchen Fachleuten anfangs vertreten wurde.

Wir kennen die Ungeimpften nicht

Das dritte Argument gegen eine allgemeine Impfpflicht ist, dass sie praktisch kaum umsetzbar wäre, aber erheblichen sozialen Sprengstoff birgt. Die derzeit rund 14 Millionen ungeimpften Erwachsenen (davon drei Millionen im besonders gefährdeten Alter ab 60 Jahre) können mangels Impfregister nicht identifiziert werden. Unter ihnen gibt es eine unbekannte Anzahl Unentschlossener, die sich wahrscheinlich einer Impfpflicht fügen würden; allerdings dürfte sich diese Gruppe unter dem Druck der vielen 3G- beziehungsweise 2G-Vorschriften früher oder später ohnehin den Piks verabreichen lassen. Ein weiterer Teil der Ungeimpften wartet auf die konventionellen Vakzinen und würde sich auch ohne Impfpflicht noch rechtzeitig vor der nächsten Welle damit schützen.

Und dann ist da noch der kleine, aber besonders laute Rest der radikalen Impfgegner. Dass sie sich einer Impfpflicht unterwerfen würden, darf man getrost ausschließen. Eher würden sie sich von gleichgesinnten Ärzten (auch diese gibt es!) eine Impfunfähigkeit bescheinigen oder in Beugehaft nehmen lassen. Einige von ihnen haben so panische Angst vor dem vermeintlichen Teufelszeug, dass sie auch bei seriöser psychiatrischer Beurteilung eine Befreiung von der Impfpflicht bekommen dürften.

Die Mehrheit der Bevölkerung (80 Prozent der Erwachsenen sind geimpft) ist angesichts überfüllter Intensivstationen zu Recht wütend darüber, dass sich eine Minderheit ihre Sturheit und Angst nicht nehmen lässt. Angst ist bekanntlich ein schlechter Berater. Dies darf uns jedoch nicht dazu verleiten, dem Rat unserer eigenen Wut zu folgen.

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