Read the English version of this article here

6.15 Uhr Auf der Leine im Hof hängt die Wäsche von neun Kindern, an der Wohnzimmerwand hängt ein Sturmgewehr, zur Zierde. Die älteste Tochter bringt grünen Tee und Fladenbrot zum Frühstück, das Doktor Atifi im Nebenraum einnimmt – so bleiben die Frauen unter sich. Dann zieht er eine frische OP-Maske über den Vollbart: "Zeit, zu gehen." Der Arzt tritt aus der schmalen Hoftür in die Gasse aus Lehm, an der Hauptstraße winkt er ein Sammeltaxi heran. Atifi, auf dem Beifahrersitz, treibt nun mit dem Strom, der sich allmorgendlich aus den armen Vororten ins Zentrum Kabuls ergießt, mit den Männern in verbeulten Toyotas, den Handkarren voller Orangen, den Greisen auf Fahrrädern. Die Straßen sind noch gesäumt von Betonsperren aus vier Jahrzehnten Krieg, doch der Himmel ist leer: keine Nato-Kampfjets, keine Drohnen mehr. Stattdessen passieren wir Checkpoints unter den weißen Bannern der Taliban; Männer mit offenen Turnschuhen und Kalaschnikows winken uns durch. Doktor Atifi stoppt den Wagen vor einem grauen Tor: "Rabia-Balkhi-Krankenhauskomplex" steht darüber. Er tritt über die Schwelle, hinein in eine Frauenwelt.